Zu Verurteilen ist ein Werkzeug
Andere zu verurteilen ist nicht
schlecht oder böse! Du solltest und kannst es auch nicht vermeiden.
In diesem Blog möchte ich dir zeigen, wie es mir geholfen hat, mich selbst klarer und bewusster wahrzunehmen.
Hier geht´s zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=vCRha0hRYBU&feature=youtu.be
Wie so viele andere auch lebte ich in dem Glauben, wenn ich andere verurteilen würde, dann würde etwas nicht mit mir stimmen und ich wäre schlecht. Besonders in der spirituellen Community/ Gemeinschaft scheint das Verurteilen ein NOGO zu sein.
Jahrelang redete ich mir ein, ich
würde andere nicht verurteilen. Das tat ich um weniger Scham und das Gefühl ein
spiritueller Mensch zu sein zu haben.
Dennoch verurteilte ich Menschen.
Mir ist das nicht mehr so aufgefallen, aber den Menschen in meinem Umfeld
schon. Immer wenn mir jemand darauf hinwies, dass ich da gerade den Charakter,
ein gewisses Verhalten oder das Aussehen eines anderen verurteilte, fielen mir
1000 Erklärungen ein, wieso ich das tat, nur verurteilt habe ich in meinen
Augen nicht.
Bis vor kurzem war das so. Ich lebte in dem Glauben, niemanden zu verurteilen, bis ich anfing mich über die Dummheit eines anderen Menschen lustig zu machen. Ich wertete diesen Menschen vollkommen ab und stellte mich mit allen Mitteln die ich zur Verfügung hatte über ihn.
Das interessante an dieser
Situation war, dass ich wie auf Autopilot einfach vor mich hinredetet und tat.
Bis es mir zu viel wurde und ich mich dann durch ein Video, ablenken wollte.
Meinem Partner fiel das auf und er sprach mich darauf an. Auch hier hatte ich
wieder eine Erklärung, ich wollte mich einfach lieber mit für mich
interessanten Dingen beschäftigen, als mit minderbemittelten Menschen, die Fehler
machen und sich dumm stellen.
Ich weiß, meine Ausdrucksweise
ist sehr harsch, dass kommt daher, dass ich sobald ich getriggert werde und beispielsweise Jemanden verurteile ich einen Verteidigungsmodus wechsle. Mein
komplettes Wesen verändert sich dann, ohne dass ich so richtig Einfluss darauf
nehmen kann. Wenn ich mich dann zurückhalte, fühlt sich das für mich so an, als
würde ich dadurch sterben. Es ist so, als müsste ich laut und unsensibel
werden, um zu überleben und mich selbst zu schützen.
Wieder in diesem Zustand ließ ich
alles raus, was in mir war. Dabei schimpfte ich besonders über Frauen, die sich
in meinen Augen dumm stellen, um leichter durchs Leben zu kommen. Ich machte
klar, dass ich es nicht verstehen konnte, wie man sich denn nur so dumm stellen
kann, um damit andere zu manipulieren und einen Vorteil daraus zu ziehen. In
diesem Gespräch stieß ich dann auch auf mein Vorurteil gegenüber Frauen. Seitdem
ich ein Kind war, glaubte ich Frauen wären dumm. Und wenn sie es nicht wirklich
wären, dann schienen sie sich dumm zu stellen. Schon als Kind konnte ich ein
solches Verhalten nicht nachvollziehen. Ich grenzte mich weitgehend von solchen Frauen und Menschen ab.
Nach einigen Minuten des
Gespräches, in denen ich fast ausschließlich andere Menschen beleidigt hatte
und in meinen Augen aufgezeigt hatte, wieso ich niemals so sein würde, kam mir
eine Erinnerung.
Ich war in der Schule. Wir hatten
Mate, mein Lieblingsfach. Ich war damals Klassenbeste und der Lehrer schrieb
eine Aufgabe an die Tafel. Anders als sonst, war ich nicht die erste, die sie
lösen konnte, ich kam überhaupt nicht auf die Lösung. Innerlich verzweifelte
ich immer mehr. Auch als die Lösung an der Tafel stand, verstand ich die
Aufgabe nicht. Langsam füllten sich meine Augen mit Tränen, die ich zu
unterdrücken versuchte. Nach einiger Zeit bemerkte das meine Banknachbarin und
mein Lehrer. Sie beide fragten mich ob es an der Aufgabe läge und ich
antwortete mir NEIN. Ich konnte nicht die Wahrheit sagen, denn das hätte
bedeutet, dass ich etwas nicht wüsste, dass ich das nicht konnte und das hätte
schlimme Folgen für mich gehabt. Ich log und meinte es hätte mit meiner Oma zu
tun, die zu diesem Zeitpunkt schwer krank war. Die Situation, in der sich meine
Oma befand belastete mich tatsächlich sehr, sie war allerdings nicht der
Auslöser für meine Tränen. Ich hielt diesen Gedanken aber solange aufrecht, bis
ich ihn selbst glaubt. Damals war ich noch jung, vielleicht 12 Jahre alt und
doch verurteilte ich den Teil an mir, der Hilfe braucht, der nicht alles weiß,
nicht alles kann derart stark, dass ich ihn vollkommen verleugnete und
verdrängte.
Als mir diese Situation aus dem
Matheunterricht wieder einfiel, war es mir auf einmal vollkommen klar. Was ich
verurteilte, waren nicht die anderen, oder dass sie sich dumm stellen, es war
der Teil in mir, der selbst nicht alles wusste und in meinen Augen dumm war.
Denn dieser Teil hat mir in meiner Kindheit in keiner Lebenslage geholfen.
Durch meine familiäre Situation musste ich sehr früh sehr selbstständig werden.
Ich musste früh alles wissen und können, denn nur so konnte ich überleben. Nach
einiger Zeit kam dann auch noch dazu, dass ich nicht nur für mein Überleben,
sondern auch für das Leben anderer verantwortlich war. Ich hatte das Gefühl, wenn
ich etwas nicht konnte oder wusste, dann würde ich nicht nur mein Leben
gefährden, sondern auch das Leben meines Bruders und meiner Mutter.
Als mir das alles klar wurde,
verstand ich, wieso ich diesen Teil in anderen so verurteilte und wieso ich
mich beinahe vollkommen davon abgespalten hatte. Ich verstand, wieso ich stets
so bemüht war, alles richtig zu machen, immer selbstständig für alles zu sorgen
und verantwortlich für alles zu sein. Dass dieses Verhalten nicht im Einklang
mit mir selbst ist und war ist mir erst jetzt wirklich klar geworden.
Es fällt mir nicht sehr leicht
den Teil in mir, der Hilfe möchte, der die Verantwortung auch einmal abgehen
oder zurück an andere geben möchte, der nicht alles weiß und auch nicht alles
kann anzunehmen, weil ich so viel Druck spüre, ihn wegzustoßen, um sicher zu
sein. Doch nun sehe ich ihn, ich höre ihn und ich weiß, wieso
ich ihn verleugnet und verdrängt habe.
Ich werde diesen Teil in mein
Leben und mein Sein integrieren und ihm mit Liebe und Barmherzigkeit begegnen.
Schritt für Schritt werde ich ihn annehmen und zulassen.
Ich werde mir immer bewusster
darüber, dass beides, mein sehr selbstständiges und wissendes Ich und mein
hilfsbedürftiges und unwissendes Ich Teile von mir Selbst sind, die beide den
jeweiligen Gegenpol des anderen darstellen. Sie beide, vereint und in Harmonie spiegeln
mein wahres oder ganzes Wesen wieder. Durch beide Teile fühle ich mich ganz.
Das ich ein Problem damit habe nach Hilfe zu fragen, oder etwas nicht zu wissen oder können ist mir erst nachdem ich dieses Erlebniss hatte vollkommen bewusst geworden. Es war einer dieser AHA-Momente, in denen ich auf einmal mein bisheriges Leben und mein Verhalten verstand.
Ich möchte dir noch eine kleine Anleitung oder ein paar Tipps geben, wie du womöglich stimmiger damit umgehen kannst, wenn du jemanden oder etwas verurteilst:
1. Werde dir darüber bewusst, dass du verurteilst.
Dabei können dir Freunde oder andere außenstehende Menschen helfen, anders als du selbst merken diese nämlich meist sofort, dass du etwas verurteilst, auch wenn du dir selbst darüber nicht bewusst bist.
Du kannst auch dein Verhalten beobachten. Wenn dir zum Beispiel auffällt, dass dich diese eine Person, dieses Verhalten, diese eine Situation oder dieses eine Thema immer wieder aus deinem Gleichgewicht bring oder deinen Wesen verändert, ohne, dass du darauf noch wirklich Einfluss hast, dann verurteilst du in diesen Momenten womöglich.
2. Lass ALLES raus.
Nimm kein Blatt vor den Mund, sprich deine Gedanken, deine Gefühle und wie du es wahrnimmst vollkommen aus. Auch wenn das verletzend oder harsch ist, es hat sich womöglich angestaut und wenn du es einmal fließen lässt, dann fällt es dir leichter zum wahren Kern der Sache zu kommen.
Nimm dir dabei so viel Zeit wir du brauchst. Sprich alles aus und lasse deiner Wut, deinem Ärger, Zorn und Unverständnis feien Lauf.
Sprich auch deine Bedenken und Ängst aus.
3. Beziehe das, was du verurteilst auf dich selbst.
Wenn es nicht ohnehin schon geschehen ist und du das Gefühl hast, du hättest alles raus gelassen, dann beziehe das, was du verurteilst auf dich selbst. Sprich aus, was schlimmes und schreckliches geschehen würde, wenn du so wärst wie diese Person oder wenn du dich so verhalten würdest.
Sprich einfach aus, was das in deinen Augen schlimmes mit dir und deinem Leben anstellen würde.
4. Öffne dich dem Teil in dir, der dem was du verurteilst entspricht.
Nach einiger Zeit wirst du feststellen, dass auch du manchmal so bist oder vor langer Zeit so warst. Wahrscheinlich hat es dich in Schwierigkeiten gebracht oder du hast bereits als Kind damit aufgehört, weil es dein Leben (die Liebe deiner Eltern/Erzieher) gefährdet hat.
Als Kind warst du ihren Wünschen und Vorstellungen ausgeliefert. Du musstest sie erfüllen, sonst hätte das dein Leben gefährdet.
Heute bist du nicht mehr von der Liebe und Wertschätzung deiner Eltern abhängig. Du bist erwachsen und sorgst eigenständig für dich selbst.
Zum erwachsen werden zählt auch, das du authentisch und so wie du wirklich bist lebst.
5. Integriere diesen Teil in deinem Leben und in dir.
Der Teil, den du so sehr verurteilst, ist ein Teil von dir. Du kannst ihn nicht weg-therapieren oder transzendieren. Er ist uns bleibt ein Teil von dir. In vielen Fällen ist er ein Teil, der noch unentwickelt ist, weil du ihn in der Kindheit bereits abgelegt hast.
Heute hast du die Möglichkeit dich diesem Teil, dir selbst zu öffnen und ihn anzunehmen und zu integrieren. So hast du die Chance zu wachsen und dich weiter zu entwickeln.
Das kannst du Schritt für Schritt tun. Wichtig ist nur, dass du dir darüber bewusst wirst, dass du durch diesen Teil nicht sterben wirst, im Gegenteil, du wirst wirklich leben.